Die Mystische Rose und der Morgenstern (2024)

In der Kunst des Mittelalters findet man Abbildungen der Rose mit fünf Blütenblättern, angeordnet entsprechend der Spitzen des Pentagramms. Während die klassische Rose in der römischen Mythologie eines der Zeichen der Liebesgöttin Venus war, symbolisierte sie als »Rosa Mystica« im Christentum dann die Heilige Mutter Maria.

Auch das alttestamentarische Hohelied Salomos spricht von einer Rose und nennt sie da die »Saronsblume«:

Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal. Wie eine Rose unter den Dornen, so ist meine Liebste unter den Töchtern.

– Hoheslied 2:1f

Als uraltes Sinnbild der Liebe, übernahm man die Symbolik eben jener »Rose unter den Dornen« im späteren Christentum, als Sinnbild der Mutter Maria. Sie nämlich nannte man auch den Rosenzweig von der Wurzel Isai, dem Vater König Davids, von dem sie abstammte.

In der christlichen Ikonografie symbolisiert die rote Rose Mariens Nächstenliebe, während das Bild der weißen Rose für ihre Reinheit und Jungfräulichkeit steht. Aber auch das heilige Blut Jesu, das vergossen wurde von der göttlichen Liebe zur Erlösung der Menschen, wurde wegen seiner roten Farbe immer auch mit der Rose in Verbindung gebracht. In der Poesie des Heiligen Ignatius von Loyola (1491-1556) ist die Rede von den Rosen der Liebe, die aus dem Blut des christlichen Heilands aufblühen.

Die Mystische Rose und der Morgenstern (1)

Abbildungen der Tudor-Rose (links) und eines Pentagramms (rechts), umgeben von pythagoreischen Lettern.

Ursymbol himmlischer Weiblichkeit

Bereits lange vor dem Christentum assozierte man mit dem Bild der Rose andere göttliche Frauengestalten. Im Alten Griechenland war die Rose ein Symbol der Liebesgöttin Aphrodite. Im griechisch-römischen Kulturkreis stand sie mit der Venus, als Sinnbild für Schönheit, für die Liebe, wie auch für den Frühling. Den fünften Monat Mai, den Frühlingsmonat, benannten die Römer nach der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Maia (auch ist der Mai der Monat der christlichen Maria).

Als Symbol für die Schnelligkeit, in der das Leben am Menschen vorüberzieht, war die Rose aber immer auch ein Sinnbild des Todes. Dafür gab es in Rom ein Rosenfest, die »Rosalia«, an dem man im Monat Mai der Toten gedachte. So wurde damit die Rose auch zu einem Symbol für das Jenseits.

Doch schauen wir noch einmal auf die Eingangs angedeutete Symbolik der Fünfheit. Sie begegnet uns in der Blütenanordnung der Rose, wie ebenso in der Fünfheit des Pentagramms. Entsprechend der griechischen Göttin Aphrodite stand für diese Fünfheit im Alten Babylon die Ischtar, deren Symbol eben das Pentagramm gewesen war.

Jedoch auch im Alten Ägypten verwendete man diese, in der Rosenblüte erscheinende Fünfheit, als Symbol für die Gottesmutter Isis.

Die Rose als Sinnbild der Umwandlung

Aus dem Hauptwerk des antiken Schriftstellers Apuleius von Madauros (123-170 n. Chr.), dem zur Weltliteratur zählenden »Goldenen Esel«, erfahren wir von einem Mann namens Lucius. Der begibt sich darin an einen Ort an dem man magische Praktiken ausübt. Durch einen üblen Zauber verwandelt man ihn in einen Esel. Eines Nachts aber träumt er von der Göttin Isis. Am nächsten Tag läuft er auf eine ihrer Priesterinnen zu, aus deren Hand er eine Rose frisst. Darauf verwandelt er sich zurück in einen Menschen.

Auch in der »Göttlichen Komödie« des des italienischen Philosophen Dante Alighieri (1265-1321) spielt die Rosensymbolik eine wichtige Rolle:

Und kann der tiefste Grad solch Licht umschlingen,
Zu welcher Weite muss der letzte Kranz
Der Blätter dieser Himmelsrose dringen?

Es meint diese Himmelsrose den Sitz der Engel und Seligen, wobei das hier erwähnte Licht eben auf den Christus anspielt, der zwischen Gott und der Welt steht, als Lichtprinzip der Schöpfung und Erlösung.

Die Mystische Rose und der Morgenstern (2)

In Dantes Paradiso 30:32 findet sich das schöne Bild einer unermesslich großen weissen Rose, die aus lauter Kreisen von Engeln besteht, wie hier abgebildet in einem Gemälde von Gustave Dore (1832-1883).

So sah ich denn, geformt als weiße Rose,
Die heilige Kriegsschar, die als Christi Braut
Durch Christi Blut sich freut in seinem Schoße.

Allein die andere, welche, fliegend, schaut
Und singt des Ruhm, der sie in Liebe entzündet,
Die Huld, die hehre Kraft ihr anvertraut,

Sie senkte, ein Bienenschwarm, der jetzt ergründet
Der Blüten Kelch, jetzt wieder dorthin eilt,
Wo würziger Honigseim sein Tun verkündet,

Sich in die Blume, im reichen Kelch verteilt,
Und flog dann aufwärts aus dem schönen Zeichen,
Dorthin, wo ihre Liebe all-ewig weilt.

– Dante, Paradiso 31:1-12

Eine riesige, weiße Rose erscheint Dante dort als Symbol für die Göttliche Liebe, während auf deren Blütenblättern die Gläubigen thronen. Allen Seelen denen Dante im Paradiso begegnete, auch jene seiner verehrten Freundin Beatrice, bietet diese himmlische Rose ein Zuhause. Engel verströmen da ihr heiligendes Strahlen, während sie wie Bienen um die Rosenblüte kreisend, sich darauf das Licht von Frieden und Liebe legt.

Wie es also scheint, assoziierten Dante und vor ihm auch Apuleius mit ihrer Rosensymbolik besondere göttliche Qualitäten, die aber jeweils mit einer Frau in Verbindung gebracht werden (bei Dante als Beatrice, bei Apuleius in Form der Isis-Priesterin). Und dieser Zusammenhang verweist eben auch auf den Zustand einer Vervollkommnung, wo bei Apuleius die Metamorphose zurück ins Menschsein, bei Dante hingegen zum Göttlichen erfolgt. Die Rose aber steht bei beiden als heiliges Symbol im Mittelpunkt.

Die Himmlische Rose

Wenn Dante in seiner Commedia von einer Himmelsrose spricht, meinte er damit vielleicht die Stationen jener »Stella Matutina«, ein Begriff den die Römer zur Bezeichnung des Morgensternes verwendeten. Da nämlich klingt etwas an, dass auf den Planeten Venus hindeutet, der ja bekanntlich eben dieser Morgenstern ist, wenn er vor Sonnenaufgang in der Dämmerung aufscheint. Das man im Christentum mit Maria den Morgenstern assoziiert, rührt wohl auch von der Tatsache her, dass die Mutter Maria ja vor ihrem Sohn lebte. Die Symbolik der Maria wird angedeutet, im Buch des biblischen Propheten Maleachi, wo im 20. Vers des 3. Kapitels der Christus als »Sonne der Gerechtigkeit« bezeichnet, was im Vergleich zur Mutter Maria als Morgenstern, eben diese Symbolik nahelegt.

Was aber aus astronomischer Perspektive vom Planeten Venus, dem Morgenstern, von der Erde aus beobachtet werden kann, führt uns wieder zu der fünffältigen Rosenblütensymbolik: Innerhalb acht Jahren nämlich zeichnet die Position des morgendlichen Venusaufgangs ein fast perfektes Pentagramm am Himmel.

Zwar mag es reiner Zufall sein, dass das üblich verwendete Symbol für die Venus dem christlichen Rosenkranz ähnelt, man bedenke aber, dass aus Perspektive mittelalterlicher Alchemie und Astrologie, durchaus zwischen beiden Formen ein Zusammenhang besteht.

In der Alchemie war die Rose ein bedeutendes Symbol, wo sie als weiße Rose für das Kleine Werk stand, die Umwandlung unedler Metalle in Silber, während mit der roten Rose die Alchemisten das Große Werk andeuteten, die Umwandlung unedler Metalle in Gold.

Die Mystische Rose und der Morgenstern (3)

Die Schnittpunkte der Linien des Pentagramms, unterteilen diese im Verhältniss des Goldenen Maßes (siehe rote und grüne Vertikalen). Auch die Verhältnisse im menschlichen Körper entsprechen ungefähr dem Goldenen Maß, wie etwa zwischen Schädeldecke und Bauchnabel, zur Länge zwischen Bauchnabel und Fußsohle (ebenso in diesem Verhältnis befindet sich die Augenlinie, die das Gesicht zwischen Schädeldecke und Kinnspitze im Goldenen Maß unterteilt).

Fünfheit in Makrokosmos und Mikrokosmos

Wie bereits erwähnt lassen sich die Symbole der Göttin Venus und der fünfblättrigen Rose miteinander auf jene beschriebene Art gemeinsam betrachten. Wenn die planetarische Venus jenes, zuvor erwähnte himmlische Pentagramm zeichnet, ließe sich damit eben auch die von Dante erwähnte »Himmelsrose« assoziieren und ebenfalls die Heilige Mutter Maria, die ja sowohl »Mystische Rose« wie auch »Königin des Himmels« ist.

In solchen und anderen Symbolen scheinen die Geheimnisse des Jenseits auf, aus dem die Schaffenskraft Gottes, des unerreichbar Höchsten in dieser Welt, sich unseren Sinnen offenbart. Dabei ist ganz gleich ob der Mensch hiermit versucht sein Denken und Fühlen mit einem Gotteskonzept zu verknüpfen oder ob sich letzteres als solches auch wirklich zu erkennen geben mag. Wieso? Es treten dabei eben eine ganze Reihe bemerkenswerter Attribute in unser Betrachtungsfeld: So findet sich in der Gestalt der fünfblättrigen Rose und der ihr zugrundeliegenden Form des Pentagramms auch das, was als »Goldener Schnitt« (auch: Goldenes Maß) bezeichnet wird (siehe Abbildung). Es ist ein mathematisch-geometrisches Maß, dass sich überall in der natürlichen Welt findet, wie etwa in den Verhältnissen der Körperglieder eines Menschen oder auch dem Muster der sogenannten Fibonacci-Folge, aus dem sich in der Natur all die unzähligen Spiralformen ergeben, wonach sich eben auch die Blätter um den Blütenboden der Rosenknospe anordnen.

Die Fünfheit und das Goldene Maß, das man ja auch im menschlichen Körper findet, bezeichnete der Evangelist Johannes wohl als den fleischgewordenen Logos, wie man in dem berühmten Bibelzitat ließt:

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit

– Johannes 1:14

Tatsächlich finden wir die genannte Fünfheit im Menschen mit seinen fünf Fingern, fünf Zehen und fünf Gliedern. Fünf Sinne hat der Mensch (Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl). Was sich aber jenseits dieser fünf Sinne befindet, dass ließe sich als verborgene Essenz, als »Sechster Sinn« formulieren, der im Herzen des Pentagramms sich als Punkt abbilden ließe, der jedoch nur bewusst wird, in der Entfaltung in eben diese Fünffältigkeit seiner Erscheinung.

Der frühen Christenheit galt die Fünf als Zahl der Wunden Christi am Kreuz. Das deutete man in Darstellungen des Pentagramms in verschiedenen Kirchen an, dass man da als heiliges Symbol in ihren sakralen Architekturen integrierte.

Der fünfzackige Stern als Schutzsymbol

Die Mystische Rose und der Morgenstern (4)

Die Rose war immer auch ein Sinnbild der Gebete, die sich zum Rosenkranz aneinander reihen. Vergleicht man das Venus-Symbol (links) und den christlichen Rosenkranz (rechts), den fünf große Perlen unterteilen, besteht doch eine gewisse Ähnlichkeit.

In der arthurischen Lyrik begegnen wir dem Pentagramm in einem Gedicht mit dem Titel »Sir Gawain und der grüne Ritter«. Wir finden darin eine Beschreibung wie sich Sir Gawain an Allerheiligen, mit einem Schild rüstet, an dessen Außenseite ein Pentagramm (Siegel König Salomos) zu sehen ist: Ein Sinnbild fünf christlich-ritterlicher Tugenden (Freigebigkeit, Loyalität, Reinheit, Höfischheit und Mitleid). Auf der Innenseite des Schildes aber ist ein Bild der Heiligen Mutter Maria aufgemalt, die ja, wie wir bereits sahen, auf’s engste mit der Pentagramm-Symbolik in Verbindung steht, worauf auch jene »Fünf Freuden Mariens« hindeuten:

  1. Mariä Verkündigung
  2. Mariä Heimsuchung
  3. Das Weihnachtsmysterium
  4. Mariä Lichtmess
  5. Wiederfinden Jesu im Tempel

An diese fünf christlichen Gleichnisse, erinnerte sich auch jener Sir Gawain auf seiner Winterreise, und schöpfte daraus Kraft.

Das Pentagramm war also immer auch ein Schutzsymbol, wozu auch das umgedrehte Pentagramm zählte. In den vergangenen Jahrhunderten jedoch veränderte sich das umgedrehte Pentagramm zu einem Symbol für das Böse. Der französische Okkultist Éliphas Lévi (1810-1865) bezeichnete es als »Zeichen der Ziege des Sabbath«. Leider scheint das bei vielen Menschen der Gegenwart, fast schon zu einer Gewissheit mutiert zu sein. Offensichtlich haben sie vergessen oder nie davon erfahren, welch wunderbare Vielfalt an Gutem und Schönem in der Form des Pentagramms verborgen liegt, wie eben auch in dem mit ihm zusammenhängenden Symbol der Mystischen Rose.

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